Panarchy: Warum Nokia überlebte und Blockbuster nicht

Portrait von Constantin Melchers tantin Consulting UG
Constantin Melchers
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Lesezeit: 10 Minuten
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Letztes Update:
16.7.2025

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Organisationen durchlaufen wie Ökosysteme natürliche Zyklen: Wachstum → Erhaltung → Krise → Erneuerung. Das Modell heißt Panarchy. Nokia nutzte seine Krise zur Transformation vom Handyhersteller zum 5G-Player. Kodak und Blockbuster verpassten den Sprung.

Der Clou: Diese Zyklen laufen gleichzeitig auf allen Ebenen – vom Team bis zum Konzern. Kleine Innovationen können Giganten stürzen ("Revolt"), während organisationales Wissen Erneuerung ermöglicht ("Remember").

Erfolg liegt nicht darin, Krisen zu vermeiden, sondern sie als Chance zur Neuerfindung zu nutzen. Erkenne, wo Du im Zyklus stehst und handle kontraintuitiv: Im Wachstum Puffer bauen, in der Stabilität bewusst stören, in der Krise Chancen suchen, in der Erneuerung mutig sein.

Bottom Line: Wer die Unvermeidlichkeit von Zyklen akzeptiert und sie aktiv gestaltet, transformiert Krisen in Katalysatoren für Evolution.

Audio-Summary des Beitrags

Nokia. Kodak. Blockbuster.

Drei Namen, drei Schicksale: Blockbuster ist seit 2010 Geschichte – nur eine Nostalgie-Filiale in Oregon erinnert noch an das einstige Video-Imperium. Kodak schrumpfte vom Foto-Giganten zum Nischenspieler.

Aber Nokia? Verwandelte sich komplett. Vom Handyhersteller zum wichtigen 5G-Ausrüster. Nicht mehr König, aber quicklebendig und relevant.

Was unterscheidet die Phönixe von den Fossilien?

Sie verstanden ein Naturgesetz, das die meisten Führungskräfte ignorieren: Organisationen sind keine Maschinen, die man optimiert. Sie sind Organismen, die Zyklen durchlaufen. Wachstum, Reife, Zerfall, Wiedergeburt. Immer wieder. Auf allen Ebenen.

Die Ökologen C.S. Holling und Lance Gunderson gaben diesem Phänomen einen Namen: Panarchy. Ein Denkmodell, das nicht nur erklärt, warum manche Organisationen an Krisen zerbrechen, sondern auch, warum andere durch sie erblühen.

Die unbequeme Wahrheit über Deine Strategie

Lass mich raten: Dein Strategieplan geht von Wachstum aus. Linear. Vorhersehbar. Kontrollierbar.

Hier ist die brutale Wahrheit: Die Natur kennt kein ewiges Wachstum. Alles, was lebt, durchläuft Zyklen. Geburt, Wachstum, Reife, Zerfall, Erneuerung. Warum sollte Deine Organisation anders sein?

Ein Muster zeigt sich immer wieder: Führungskräfte versuchen verzweifelt, den Winter zu verhindern. Dabei liegt genau dort der Keim des nächsten Frühlings.

Die Ökologen C.S. Holling und Lance Gunderson haben dieses Naturgesetz auf Organisationen übertragen. Sie nannten es Panarchy – die Kunst, mit adaptiven Zyklen zu tanzen, statt gegen sie anzukämpfen.

Der adaptive Zyklus: Das Naturgesetz der Transformation

Stell Dir vor, Deine Organisation ist kein starres Gebilde, sondern ein lebendiger Organismus. Er durchläuft vier Phasen – immer wieder, auf allen Ebenen:

Der adaptive Zyklus nach Holling und Gunderson - zeigt die vier Phasen: Wachstum (r), Erhaltung (K), Krise/Freisetzung (Ω), und Neuausrichtung/Erneuerung (α) in einer Unendlichkeitsschleife

1. Die Wachstumsphase (r): Der berauschende Aufstieg

Alles sprießt. Neue Märkte, neue Ideen, exponentielles Wachstum. Das Paradox: Genau hier säst Du die Saat der nächsten Krise.

2. Die Erhaltungsphase (K): Die trügerische Stabilität

Prozesse laufen. Effizienz regiert. Die Gefahr: Mit jeder Optimierung wird Dein System starrer. Ein Funke genügt.

3. Die Krise/Freisetzung (Ω): Der notwendige Tod

Das System kollabiert. Die Chance: Ressourcen werden frei. Raum für Neues entsteht.

4. Die Neuausrichtung/Erneuerung (α): Die stille Revolution

Neue Ideen keimen. Experimente werden gewagt. Der Schlüssel: Wer diese Phase nutzt, geht gestärkt hervor.

Das Spannende daran: Es passiert auf allen Ebenen gleichzeitig

Hier wird es wirklich interessant. Während Dein Vertriebsteam gerade eine Wachstumsphase erlebt, könnte Deine IT im Zusammenbruch stecken. Während ein Produktbereich optimiert, experimentiert ein anderer bereits mit der Zukunft.

Das ist Panarchy in Aktion: Multiple Zyklen auf verschiedenen Ebenen, die sich gegenseitig beeinflussen.

Panarchy-Mehrebenen-Dynamik: Drei adaptive Zyklen auf unterschiedlichen Organisationsebenen (Mikro, Meso, Makro), verbunden durch "Remember" (organisationales Gedächtnis fließt von oben nach unten) und "Revolt" (Innovationen von unten beeinflussen höhere Ebenen)

Der "Revolt"-Effekt: Wenn David Goliath stürzt

Ein kleines Innovationsteam entwickelt eine disruptive Idee. Sie "revoltiert" gegen die trägen Strukturen der Gesamtorganisation. Plötzlich muss sich der Tanker drehen.

Der "Remember"-Effekt: Die Weisheit der Organisation

Umgekehrt kann die Erfahrung und Ressourcenstärke der Gesamtorganisation einem strauchelnden Team helfen, sich neu zu erfinden. Das organisationale Gedächtnis wird zur Rettungsleine.

Von der Theorie zur Transformation: Der praktische Dreh

Die entscheidende Frage: Nicht "Wie vermeide ich Krisen?", sondern "Wie nutze ich sie?"

1. Die Standortbestimmung

Wo steht Deine Organisation im Zyklus? Die Antwort bestimmt alles.

2. Der kontraintuitive Move

  • Wachstum? Baue Puffer. Bleib flexibel.
  • Erhaltung? Störe bewusst. Experimentiere.
  • Krise/Freisetzung? Such die Chancen. Was wird möglich?
  • Neuausrichtung? Sei mutig. Große Würfe.

3. Die Mehrebenen-Magie

"Revolts" nutzen: Kleine Teams mit großen Ideen können Giganten bewegen."Remember" aktivieren: Organisationales Wissen für Erneuerung mobilisieren.

Der Praxistest: Nokias Metamorphose

Nokia – einst Mobilfunk-König, heute wichtiger Player in der 5G-Technologie.

Die Phasen im Zeitraffer:

2007-2013: Krise/Freisetzung. Smartphones überrollen Nokia.
2014-2016: Neuausrichtung. Handysparte verkauft. Radikale Transformation.
2017-heute: Neues Wachstum. Relevanter Akteur in Netzwerktechnologie.

Die Lektion: Die Krise war der Anfang, nicht das Ende.

Die Grenzen des Modells: Eine ehrliche Betrachtung

Panarchy ist kraftvoll, aber nicht allmächtig. Wie jedes Modell hat es seine blinden Flecken:

Die Vereinfachungsfalle: Organisationen sind komplexer als vier Phasen. Manche Entwicklungen sind linear, manche chaotisch, manche folgen gar keinem Muster.

Der menschliche Faktor: Das Modell unterschätzt möglicherweise unsere Fähigkeit, Zyklen bewusst zu durchbrechen. Wir sind keine Bäume im Wald, wir können den Funken löschen, bevor er zum Flächenbrand wird.

Die kulturelle Brille: Panarchy entstammt westlichem Denken. Andere Kulturen haben andere Metaphern für Wandel und die sind genauso gültig.

Diese Kritik macht Panarchy nicht wertlos. Im Gegenteil: Sie macht es anwendbar. Nutze es als Linse, nicht als Dogma. Als Werkzeug, nicht als Wahrheit.

Die nächste Evolutionsstufe: Purple Thinking

Bei tantin haben wir uns gefragt: Was, wenn eine Organisation nicht nur Zyklen durchläuft, sondern sie aktiv orchestriert? Was, wenn sie die Klarheit hat zu erkennen, wo sie steht und den Mut, bewusst zu springen?

Wir nennen diese Synthese Purple Thinking:

  • Blau: Die analytische Klarheit, Zyklen zu verstehen
  • Rot: Die dionysische Energie, sie zu durchbrechen
  • = Purpur: Die Meisterschaft bewusster strategischer Selbstüberwindung

Es geht nicht darum, Krisen zu überleben. Es geht darum, sie zu nutzen.

Dein nächster Schritt: Das Experiment

Für die nächste Woche: Wähle einen Bereich Deiner Organisation. Identifiziere seine Phase im adaptiven Zyklus. Dann tue das Gegeninteilige von dem, was sich "richtig" anfühlt:

  • Im Wachstum? Plane bereits die Konsolidierung.
  • In der Erhaltung? Störe bewusst. Hinterfrage alles.
  • Im Zusammenbruch? Feiere die Möglichkeiten.
  • In der Reorganisation? Wage den großen Wurf.

Beobachte, was passiert. Du wirst überrascht sein.

Der Punkt, um den es wirklich geht

Nach all den Jahren der Arbeit mit Organisationen ist mir eines klar geworden: Die erfolgreichsten Führungskräfte sind nicht die, die Krisen verhindern. Es sind die, die ihre Unvermeidlichkeit akzeptieren und sie als Chance begreifen.

Panarchy lehrt uns: Alles ist Zyklus. Alles ist Wandel. Alles ist Chance.

Die Frage ist nur: Wartest Du auf die nächste Phase – oder gestaltest Du sie?

Du willst tiefer eintauchen? Im Resonanzraum-Workshop erkunden wir gemeinsam die Zyklen Deiner Organisation und entwickeln Strategien für den nächsten Sprung. Keine Präsentationen. Nur Dialog, Reflexion und transformative Erkenntnisse.

Bereit für Deinen adaptiven Tanz?

Häufig gestellte Fragen

Was ist Panarchy einfach erklärt?

Panarchy ist ein Modell, das zeigt, wie Organisationen natürliche Zyklen durchlaufen: Wachstum → Erhaltung → Krise → Erneuerung. Diese Zyklen laufen gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen ab und beeinflussen sich gegenseitig. Das Konzept stammt aus der Ökologie und wurde auf soziale Systeme übertragen.

Wie erkenne ich, in welcher Phase des adaptiven Zyklus meine Organisation steckt?

Achte auf typische Signale: Schnelles Wachstum und hohe Innovation = Wachstumsphase. Fokus auf Effizienz und Optimierung = Erhaltungsphase. Strukturen brechen auf, alte Modelle funktionieren nicht mehr = Krise. Neue Ideen entstehen, Experimente werden gewagt = Erneuerungsphase.

Was bedeuten "Revolt" und "Remember" in der Panarchy?

"Revolt" beschreibt, wie kleine, schnelle Innovationen auf unteren Ebenen (z.B. ein Team) größere, trägere Systeme beeinflussen können. "Remember" ist das Gegenteil: Wissen und Ressourcen von höheren Ebenen unterstützen die Erneuerung auf niedrigeren Ebenen.

Warum ist die Krise im Panarchy-Modell eine Chance?

In der Krise werden Ressourcen frei und alte Strukturen lösen sich auf. Das schafft Raum für radikale Innovation und Neuausrichtung. Nokia nutzte seine Handykrise, um sich als 5G-Ausrüster neu zu erfinden. Die Krise ist der Anfang der Transformation, nicht das Ende.

Wie kann ich Panarchy praktisch in meiner Organisation anwenden?

Handle kontraintuitiv zur jeweiligen Phase: Im Wachstum bereits Puffer einbauen. In der Erhaltung bewusst stören und experimentieren. In der Krise aktiv nach Chancen suchen. In der Erneuerung mutig große Veränderungen wagen. Der Schlüssel ist, die Phase zu erkennen und entsprechend zu agieren.

Ist Panarchy wissenschaftlich fundiert?

Ja, das Modell wurde von den renommierten Ökologen C.S. Holling und Lance Gunderson entwickelt und ist in der Resilienzforschung etabliert. Es hat aber auch Grenzen: Es vereinfacht komplexe Realitäten und sollte als Denkwerkzeug, nicht als Dogma genutzt werden.

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