Verstecken oder vergolden? Die vergessene Kunst des strategischen Scheiterns

Portrait von Constantin Melchers tantin Consulting UG
Constantin Melchers
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Lesezeit: 10 Minuten
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Letzes Update:
13.6.2025

tl;dr

Nach 22 Jahren Berufserfahrung und dem Sprung ins Ungewisse weiß ich: Perfekte Organisationen sind fragil. Zerdellte sind antifragil. Dieser Essay zeigt, warum Scheitern keine Schwäche, sondern eine strategische Kompetenz ist. Mit praktischen Ansätzen wie dem Forecast-Detox und der Dellen-Dokumentation lernst Du, Niederlagen nicht zu verstecken, sondern zu vergolden. Denn die Zukunft gehört nicht den Makellosen, sie gehört denen, die ihre Narben in Stärke verwandeln.

Audio-Summary des Beitrags

"Das verläuft aber nicht nach Forecast gerade – was sollen wir nun tun?"

Ich saß in diesem Meetingraum, starrte auf die PowerPoint-Folie und dachte: Das ist es. Das ist der Satz, der alles zusammenfasst, was mit modernem Management falsch läuft. Eine Führungskraft, völlig paralysiert, weil die Realität es gewagt hatte, vom Excel-Sheet abzuweichen.

In diesem Moment wurde mir klar: Ich sitze auf der falschen Seite des Tisches.

Der Sprung ins Nichts

Sechs Monate später kündigte ich. Nichts Konkretes in Aussicht. Kein fertiger Plan. Nur die brennende Gewissheit, dass ich nicht mehr Teil eines Systems sein wollte, das bei der kleinsten Abweichung vom Plan in Schockstarre verfällt. Irgendetwas würde sich ergeben. Musste sich ergeben.

Was ich fühlte? Angst. Nackte, existenzielle Angst. Hilflosigkeit. Die Art von Orientierungslosigkeit, wenn Du nachts aufwachst und nicht weißt, wo Du bist. Nur dass es nicht nachts war. Es war mein Leben.

Heute, Jahre später, bin ich tantin Consulting. Der Best-of-Mind Ansatz, den ich vertrete, ist aus dem Scheitern geboren. Aus 22 Jahren Sackgassen, Irrwegen und der brutalen Erkenntnis: Perfektion ist der Feind der Transformation. Den Methoden, die ich nutze, gebe ich meinen eigenen Spin, iteriere sie, mache sie zu etwas Neuem. Sie haben sich genau in diesen Bruchstellen bewährt und wurden durch diese Bruchstellen transformiert.

Die glänzende Rüstung, die niemals kämpfte

Es gibt diese Metapher, die mich begleitet: Ein Ritter in glänzender Rüstung ist kein echter Ritter. Er hat nie für etwas eingestanden, was zählt. Die echten Ritter? Ihre Rüstungen sind zerdellt, verbeult, geflickt. Jede Delle erzählt eine Geschichte. Jeder Kratzer war ein Kampf, der zählte.

Organisationen sind wie diese Rüstungen. Die makellosen beeindrucken auf Messen. Die zerdellten gewinnen Schlachten.

Aber wir polieren lieber, als zu kämpfen.

Von Resilienz zu Antifragilität: Warum Zurückfedern nicht reicht

Die meisten reden von Resilienz. Zurückfedern. Den alten Zustand wiederherstellen. Als wäre das erstrebenswert.

Nassim Taleb hat mir die Augen geöffnet: Es gibt drei Arten, wie Systeme auf Stress reagieren:

  • Fragil: "Das verläuft nicht nach Forecast!" Panik. Lähmung. Game Over.
  • Resilient: "Okay, Krise überstanden, back to business." Überleben, aber nicht lernen.
  • Antifragil: "Geil, das zwingt uns endlich, unser Geschäftsmodell zu überdenken." Die Krise als Katalysator.

Ein Kunde aus der Beratungsbranche hat das verstanden. Die Pandemie traf sie hart – keine Vor-Ort-Termine, keine Workshops, keine Nähe. Die resiliente Antwort wäre gewesen: Zoom-Calls und durchhalten.

Ihre antifragile Antwort? Sie fragten sich: Was, wenn Remote nicht das Problem, sondern die Lösung ist? Heute arbeiten sie komplett asynchron, haben Kunden weltweit und eine Marge, von der sie früher nicht zu träumen wagten.

Der Unterschied? Sie fragten nicht "Wie überleben wir das?", sondern "Wie werden wir dadurch besser?"

Die Kintsugi-Organisation

Die japanische Kunst des Kintsugi repariert zerbrochene Keramik mit Gold. Die Philosophie: Der Bruch ist nicht das Ende der Geschichte. Er ist der Anfang einer schöneren.

Jedes Mal, wenn ich vor Führungskräften stehe, sehe ich ihre Angst vor dem Bruch. Sie wollen Fünfjahrespläne. Forecasts. Sicherheit. Als könnte man Zukunft in Excel gießen.

Dabei ist die Wahrheit: Scheitern gehört zum Gewinnen wie Tails zu Heads. Zwei Seiten derselben Medaille.

Die Frage ist nicht, ob Du scheiterst. Die Frage ist: Versteckst Du die Scherben oder machst Du Gold draus?

Was meine Tochter mich über Scheitern lehrte

Ava ist drei. Wenn sie hinfällt, weint sie kurz, steht auf, rennt weiter. Kein Drama. Kein Forecast, der nicht eingehalten wurde.

Aber dann sehe ich Eltern, die jede Herausforderung für ihre Kinder lösen. Jedes Hindernis wegräumen. Und ich denke: Ihr erzieht sie zur erlernten Hilflosigkeit. Ihr raubt ihnen die Chance, antifragil zu werden.

Dasselbe machen wir in Organisationen.

Wir bauen Prozesse, die jeden Fehler verhindern sollen. Kontrollmechanismen über Kontrollmechanismen. Und wundern uns, warum Innovation stirbt.

Innovation braucht aufgeschürfte Knie.

Die Methodik des produktiven Scheiterns

In 22 Jahren habe ich jede Sackgasse mitgenommen, die die Businesswelt zu bieten hat. Strategien, die am Papier brillant waren und in der Realität verpufften. Workshops, die alle begeisterten und nichts veränderten. Beratung, die mehr Fragen schuf als Antworten.

Aus jedem dieser Fehler entstand eine Erkenntnis. Aus jeder Erkenntnis eine Methode. Das Echo-Framework? Geboren aus der Frustration, dass niemand wirklich zuhört. OKTR? Die Antwort auf die Lücke zwischen Strategie und Taktik. Die Purple Organization? Die Synthese aus allem, was nicht funktioniert hat.

tantin ist keine Beratung trotz meiner Fehler. tantin ist eine Beratung wegen meiner Fehler.

Praktische Antifragilität: Wie Du Scheitern zu Deinem Verbündeten machst

1. Der Forecast-DetoxNimm Deinen heiligsten Forecast. Den, an dem alles hängt. Jetzt stell Dir vor, er wird komplett über den Haufen geworfen. Was dann? Wenn Deine Antwort Panik ist, bist Du fragil. Arbeite an Szenarien, bei denen Du denkst: "Interessant, das könnte sogar besser werden."

2. Die Dellen-DokumentationStatt Erfolgsgeschichten zu archivieren, dokumentiere Deine Niederlagen. Was ging schief? Was hast Du gelernt? Wie hat es Dich verändert? Bei tantin haben wir ein "Sackgassen-Archiv". Unser wertvollstes Asset.

3. Das Ava-PrinzipWo löst Du Probleme für andere, die sie selbst lösen sollten? Wo verhinderst Du produktives Scheitern? Manchmal ist das Beste, was Du tun kannst: Nichts. Lass sie fallen. Lass sie lernen.

4. Die goldene NahtWenn etwas kaputtgeht – und es wird – frag nicht "Wie flicken wir das schnell?" Frag: "Wie machen wir es schöner als vorher?" Nicht trotz des Bruchs. Wegen des Bruchs.

Die unbequeme Wahrheit über Perfektion

Ich habe Jahre damit verbracht, die perfekte Strategie zu suchen. Die makellose Methode. Den fehlerfreien Plan.

Nie hat es mich glücklich gemacht.

Weißt Du warum? Weil in der Perfektion kein Leben ist. Kein Puls. Keine Geschichte. Die wahre Schönheit liegt in der Imperfektion. Im Versuch. Im Wieder-Aufstehen.

Der Weg ist das Ziel – aber nur, wenn Du bereit bist, Dich unterwegs zu verlaufen.

Was Nietzsche wirklich meinte

"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker." Jeder kennt den Satz. Kaum einer versteht ihn.

Es geht nicht um stumpfes Durchhalten. Es geht um Transformation durch Konfrontation. Jede Niederlage, jeder Bruch, jedes Scheitern ist eine Einladung, über sich hinauszuwachsen. Nicht zurück zum Alten. Vorwärts zum Neuen.

Ich habe das früh gelernt. In persönlichen Widrigkeiten. In beruflichen Niederlagen. Jede einzelne hat mich besser gemacht. Nicht trotz des Schmerzes. Wegen des Schmerzes.

Das ist der Unterschied zwischen Überleben und Überwindung.

Der Resonanzraum des Scheiterns

Wenn ich heute Organisationen begleite, suche ich nicht nach ihren Stärken. Ich suche nach ihren Narben. Den Stellen, wo sie gebrochen und wieder zusammengewachsen sind. Denn dort liegt die wahre Kraft.

Im Resonanzraum-Workshop schaffen wir einen Raum, wo Scheitern nicht versteckt, sondern erforscht wird. Wo Führungskräfte zum ersten Mal sagen dürfen: "Hier sind wir gescheitert. Und hier ist, was wir daraus gemacht haben."

Die Transformation beginnt, wenn Du aufhörst, Deine Dellen zu polieren.

Die Zukunft gehört den Zerdellten

Eine Organisation ohne Narben ist wie ein Mensch ohne Geschichte. Langweilig. Austauschbar. Fragil.

Die Zukunft gehört nicht den Makellosen. Sie gehört denen, die ihre Brüche in Gold verwandeln. Die verstehen, dass jeder Forecast eine Illusion ist. Die wissen, dass wahre Stärke nicht im Vermeiden von Niederlagen liegt, sondern in der Kunst, durch sie zu wachsen.

Meine sichere Karriere wegzuwerfen war der größte Fehler meines Lebens.

Und genau deshalb war es die beste Entscheidung.

Deine nächste Niederlage kommt bestimmt. Die Frage ist: Verstecken oder vergolden?

Jahre später machen die Puzzleteile Sinn. Aber Du musst bereit sein, sie fallen zu lassen. Wieder und wieder. Bis aus dem Chaos ein Bild entsteht, das schöner ist als alles, was Du geplant hättest.

Das ist die Weisheit des Scheiterns. Nicht trotz der Dellen. Sondern wegen ihnen.

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