Die 10 Managerrollen nach Mintzberg: Warum Du als Führungskraft eigentlich 10 Jobs gleichzeitig machst

Portrait von Constantin Melchers tantin Consulting UG
Constantin Melchers
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Lesezeit: 10 Minuten
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Letzes Update:
10.6.2025

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Henry Mintzberg identifizierte in den 1970ern durch Beobachtung echter Manager 10 verschiedene Rollen, die Führungskräfte täglich ausfüllen: Von der Repräsentationsfigur über den Informationsverteiler bis zum Krisenmanager. Das Modell zeigt: Führung ist kein einzelner Job, sondern ein ständiger Wechsel zwischen verschiedenen Rollen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht darin, alle Rollen perfekt zu beherrschen, sondern zu erkennen, welche Rolle in welcher Situation gefragt ist. Mit praktischen Übungen zur Rollenreflexion und einem Wochenplan zur bewussten Rollengestaltung.

Audio-Summary des Beitrags

9:47 Uhr. Montagmorgen.

Du sitzt im dritten Meeting des Tages, während Dein Posteingang explodiert, zwei Mitarbeiter vor der Tür auf Feedback warten und die Geschäftsführung eine Stellungnahme zur aktuellen Marktsituation erwartet.

Kommt Dir bekannt vor?

Dann lass mich Dir eine unbequeme Wahrheit verraten: Du machst nicht einen Job. Du jonglierst mit mindestens zehn verschiedenen Rollen – gleichzeitig.

Und das Verrückte daran? Die meisten Führungskräfte wissen das nicht einmal.

Der Mann, der Managern beim Arbeiten zusah

Henry Mintzberg war in den 1970ern ein ziemlich verrückter Typ. Während andere Professoren in ihren Elfenbeintürmen Theorien entwickelten, tat er etwas Radikales: Er beobachtete echte Manager bei ihrer echten Arbeit.

Stell Dir vor, jemand würde Dir eine Woche lang über die Schulter schauen. Jede E-Mail, jedes Telefonat, jeden Flurgespräch dokumentieren. Genau das tat Mintzberg.

Was er entdeckte, revolutionierte unser Verständnis von Führung.

Die schockierende Erkenntnis: Du bist eine Führungs-Hydra

Mintzberg erkannte: Manager sind keine eindimensionalen Entscheider. Sie sind Gestaltwandler.

In einer Minute bist Du Visionär, in der nächsten Feuerwehrmann. Morgens Diplomat, nachmittags Informationsbroker. Diese ständigen Rollenwechsel sind kein Zeichen von Chaos, sie sind das Wesen moderner Führung.

Aber hier wird's interessant: Die meisten scheitern nicht an mangelnder Kompetenz. Sie scheitern, weil sie nicht wissen, welche Rolle sie gerade spielen sollten.

Die drei Säulen Deiner Führungs-Persönlichkeit

Bevor wir in die einzelnen Rollen eintauchen, lass uns das große Bild verstehen. Deine Führungsarbeit ruht auf drei Säulen:

1. Die menschliche Säule (Interpersonelle Rollen) Hier geht's um Menschen. Um Beziehungen. Um das, was zwischen den Zeilen passiert.

2. Die Informations-Säule (Informationsrollen) Du bist ein lebender Router. Informationen fließen durch Dich hindurch, werden gefiltert, verstärkt, weitergeleitet.

3. Die Entscheidungs-Säule (Entscheidungsrollen) Hier formst Du die Zukunft. Nicht durch Hellseherei, sondern durch bewusste Wahl.

Die Kunst liegt nicht darin, in einer Säule perfekt zu sein. Die Kunst liegt im Tanz zwischen allen dreien.

Die 10 Rollen, die Du täglich spielst (auch wenn Du es nicht merkst)

Die menschliche Dimension

1. Der Repräsentant – Dein innerer Staatsmann

Du unterschreibst nicht nur Verträge. Du bist das Unternehmen. Bei der Weihnachtsfeier, beim Kundenevent, in der Öffentlichkeit.

Reflexionsfrage: Wann hast Du das letzte Mal bewusst überlegt, welche Botschaft Du allein durch Deine Anwesenheit sendest?

2. Die Führungskraft – Dein innerer Mentor

Vergiss Command & Control. Moderne Führung ist wie Gärtnern: Du schaffst Bedingungen, unter denen Menschen wachsen. Manchmal bedeutet das Düngen (Lob), manchmal Beschneiden (Kritik), immer aber: präsent sein.

Der Unterschied zwischen einem Boss und einem Leader? Der Boss sagt "Geht!" Der Leader sagt "Lasst uns gehen!"

3. Die Kontaktperson – Dein innerer Netzwerker

Du bist eine Brücke. Zwischen Abteilungen, zwischen innen und außen, zwischen heute und morgen. Jeder Kontakt ist ein potenzieller Knotenpunkt im Netzwerk Deines Erfolgs.

Übung für diese Woche: Identifiziere drei wichtige Beziehungen, die Du vernachlässigt hast. Reaktiviere eine davon.

Die Informations-Dimension

4. Der Monitor – Dein innerer Detektiv

Du scannst. Ständig. Markttrends, Teamstimmung, Wettbewerber. Aber Vorsicht: In der Informationsflut zu ertrinken ist keine Kompetenz, sondern eine Kapitulation.

Die Kunst liegt nicht im Sammeln von Informationen. Die Kunst liegt im Erkennen von Mustern.

5. Der Informationsverteiler – Dein innerer Redakteur

Du entscheidest nicht nur, was wichtig ist. Du entscheidest, wer was wann erfährt. Das ist Macht. Und Verantwortung.

Kritische Frage: Teilst Du Informationen, um zu befähigen oder um zu kontrollieren?

6. Der Sprecher – Dein innerer Geschichtenerzähler

Nach außen bist Du die Stimme des Unternehmens. Aber es geht nicht um PR-Sprech. Es geht darum, komplexe Realitäten in verständliche Narrative zu übersetzen.

Menschen folgen keinen Strategien. Menschen folgen Geschichten.

Die Entscheidungs-Dimension

7. Der Unternehmer – Dein innerer Rebell

Status quo ist Dein Feind. Du siehst Möglichkeiten, wo andere Probleme sehen. Du initiierst Wandel, nicht weil Du musst, sondern weil Du nicht anders kannst.

Provokation: Welche "heilige Kuh" in Deinem Unternehmen gehört eigentlich geschlachtet?

8. Der Krisenmanager – Dein innerer Feuerwehrmann

Shit happens. Immer. Die Frage ist nicht ob, sondern wann. Und dann? Dann zeigt sich, ob Du nur Manager oder wirklich Leader bist.

In der Krise offenbart sich Charakter. Nicht in PowerPoints.

9. Der Ressourcenzuteiler – Dein innerer Schachspieler

Geld, Zeit, Menschen – alles ist begrenzt. Du spielst ein unendliches Spiel mit endlichen Mitteln. Jede Zuteilung ist ein Statement über Deine wahren Prioritäten.

Brutal ehrliche Frage: Spiegelt Deine Ressourcenverteilung wirklich Deine Strategie wider? Oder nur Deine Gewohnheiten?

10. Der Verhandlungsführer – Dein innerer Diplomat

Du verhandelst ständig. Nicht nur in offiziellen Verhandlungen. Jede Interaktion ist eine Mikro-Verhandlung. Die Kunst? Win-Win ist kein Kompromiss, sondern eine Erweiterung des Möglichkeitsraums.

Der entscheidende Mindshift: Von der Last zur Meisterschaft

Jetzt denkst Du vielleicht: "Großartig, zehn Jobs statt einem. Wie soll ich das schaffen?"

Hier kommt der Twist: Du sollst nicht alle Rollen perfekt beherrschen. Du sollst wissen, wann welche Rolle gefragt ist.

Ein Krisenmeeting braucht keinen Netzwerker, sondern einen Krisenmanager. Die Strategieklausur keinen Feuerwehrmann, sondern einen Unternehmer. Das Problem entsteht, wenn Du in der falschen Rolle feststeckst.

Das Geheimnis der Rollen-Flexibilität

Die besten Führungskräfte sind wie Schauspieler, die ihr Repertoire kennen. Sie wechseln mühelos zwischen den Rollen, ohne ihre Authentizität zu verlieren.

Drei Schritte zur Rollen-Meisterschaft:

  1. Bewusstsein entwickeln: In welcher Rolle bin ich gerade? Ist es die richtige für diese Situation?
  2. Stärken identifizieren: In welchen Rollen brilliere ich? Welche fallen mir schwer?
  3. Gezielt entwickeln: Schwäche ist nur eine noch nicht entwickelte Stärke.

Der Blick nach vorn: Führung im 21. Jahrhundert

Mintzbergs Modell ist über 50 Jahre alt. Trotzdem – oder gerade deswegen – ist es aktueller denn je. Warum? Weil es das Zeitlose im Zeitgeist erfasst.

Ja, heute kommen neue Dimensionen dazu:

  • Digitale Führung in hybriden Welten
  • Agile Navigation in volatilen Märkten
  • Purpose-Orientierung in sinnstiftenden Organisationen

Aber die Grundrollen bleiben. Sie sind das Betriebssystem, auf dem alle Updates laufen.

Deine nächsten Schritte

Theorie ohne Praxis ist wie ein Kompass ohne Wanderung. Nutzlos.

Diese Woche:

  1. Führe ein Rollen-Tagebuch: Notiere einmal täglich, welche Rollen Du gespielt hast
  2. Identifiziere Deine Schatten-Rolle: Welche der 10 meidest Du?
  3. Experimentiere: Wähle bewusst eine unterentwickelte Rolle und übe sie einen Tag lang

Diese Monat:

  • Hole Dir Feedback: Frage drei Vertraute, in welchen Rollen sie Dich stark/schwach sehen
  • Entwickle Deine Schatten-Rolle: Erstelle einen konkreten Entwicklungsplan
  • Reflektiere: Wie verändert das Rollen-Bewusstsein Deine Führung?

Das eine Ding, das Du mitnehmen solltest

Wenn Du nur eine Sache aus diesem Artikel mitnimmst, dann diese:

Du bist nicht überfordert, weil Du zu viele Aufgaben hast. Du bist überfordert, weil Du nicht weißt, welche Rolle Du gerade spielen sollst.

Die Lösung liegt nicht in weniger Aufgaben. Die Lösung liegt in mehr Klarheit.

Führung ist kein Job. Führung ist eine Kunst. Die Kunst, im richtigen Moment die richtige Rolle zu verkörpern. Mintzberg hat uns die Partitur gegeben. Die Musik? Die machst Du.

Bist Du bereit, Deine Führungsrollen bewusster zu gestalten? Der erste Schritt zur Meisterschaft ist das Erkennen dessen, was ist. Der zweite ist das Erschaffen dessen, was sein könnte.

Quellen

Kurke, Lance B., und Howard E. Aldrich. "Mintzberg Was Right!: A Replication and Extension of the Nature of Managerial Work." Management Science 29, Nr. 8 (1983): 975-984.

Miller, Danny. "The Genesis of Configuration." Academy of Management Review 12, Nr. 4 (1987): 686-701.

Mintzberg, Henry. The Nature of Managerial Work. New York: Harper & Row, 1973.

Mintzberg, Henry. Managing. San Francisco: Berrett-Koehler Publishers, 2009.

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